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Capella Antiqua Bambergensis im CPH

Unter dem Motto „Vom Sommer, vom Herbst, zum Winter des Jahrhunderts“ sorgte die Capella Antiqua Bambergensis am 21. April gemeinsam mit Jule Bauer und Literaturwissenschaftler Thomas Sparr für einen stimmungsvollen Nachmittag im Caritas-Pirckheimer-Haus. Im Mittelpunkt stand ein wiederentdecktes jüdisch-deutsches Liederbuch von 1912.

 

Die Capella Antiqua Bambergensis ist ein vor allem auf mittelalterliche Musik spezialisiertes Ensemble, das seinen Sitz auf Schloss Wernsdorf bei Bamberg hat. Es erarbeitet immer wieder neue musikalische Themenabende – so auch die musikalische Lesung „Vom Sommer, vom Herbst, zum Winter des Jahrhunderts“, die am 21. April im Caritas-Pirckheimer-Haus zu erleben war.

Im Zentrum dieser musikalischen Lesung steht die Geschichte eines einzigartigen Liederbuchs: 2019 entdeckten Mitglieder der Capella Antiqua Bambergensis das jüdisch-deutsche Liederbuch im Musikarchiv der Israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem. Das 1912 in Berlin von Abraham Zvi Idelsohn (1882–1938) veröffentlichte Buch enthält eine umfassende Sammlung der damals beliebtesten hebräischen und deutschen Lieder. Es zeugt vom fruchtbaren Ineinander jüdischer und deutscher Musik in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und enthält Melodien aus mehr als 800 Jahren.

Ein Dokument deutsch-jüdischer Geschichte

Idelsohn konzipierte das Liederbuch als grundlegendes musikpädagogisches Werk, um es für den Musikunterricht in Kindergärten, Volks- und höheren Schulen in Palästina, Deutschland und in der Diaspora einzusetzen. Innovativ war Idelsohns Idee das Liederbuch zweisprachig anzulegen und im hebräischen Teil der Liedsammlung die Notenschrift analog der hebräischen Schrift von rechts nach links zu notieren. Es ist das erste in dieser Art dokumentierte Werk. Und nun  ist es ein besonderes Erinnerungsstück an die deutsch-jüdische Geschichte geworden.

Zugleich spiegelt das Liederbuch die Träume der Jüdinnen und Juden wieder, in der deutschen Gesellschaft als gleichberechtigte Bürger angekommen zu sein. Dieser Traum zerplatzte 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Musik, Wort und Geschichten

Einige Melodien aus dem Liederbuch erklangen im CPH. Sprecher Thomas Sparr verknüpfte die Musikstücke mit atmosphärischen und assoziativen Schilderungen, auch mit Verweisen auf die aktuellen Entwicklungen im Weltgeschehen. Jule Bauer sang mit ausdrucksvoller Stimme und begleitete sich dabei unter anderem auf der Nyckelharpa (Schlüsselfiedel).

Den Anfang des Programms machte ein sephardisches Lied aus dem Anadalusien des 12. Jahrhunderts - „La Rosa Enflorece“ („Die Rose erblüht“).

Erzähler Thomas Sparr erläuterte im Anschluss, dass 1912, im Erscheinungsjahr des Liederbuchs, die Welt noch in Ordnung zu sein schien. Doch: „Wahrscheinlich sind wir alle am gefährdetsten, wenn wie glauben, am sichersten zu sein.“ – und so schlitterte die Welt schnell dem ersten Weltkrieg entgegen. Um danach bald in die zweite große Katastrophe des 20. Jahrhunderts zu geraten, die sich bereits am 24.06.1922 andeutete, als Walter Rathenau von einem Rechtsextremisten erschossen wurde.

Mit „Shi’Eres“ folgte ein polnisches Wiegenlied aus der Zeit um 1900. Das Stück „Alef-Bet“ (Alphabet) aus der gleichen Epoche handelt von den kleinen jüdischen Landschulen und erinnert an die Tradition jüdischer Gelehrsamkeit.

Auch das alte Lied von der „Lorelei“ findet sich im hebräisch-deutschen Liederbuch und wurde durch die Capella interpretiert. Der Text stammt von Heinrich Heine. Thomas Sparr deutete die düstere Legende vom Untergang der durch die Lorelei verblendeten Menschen im Rhein als eine Art Prophezeiung auf das, was noch kommen sollte: Beginnend mit dem 30.01.1933, dem Tag der Machtergreifung – oder wie Sparr es formulierte, der Machtübertragung an Hitler. Und er zitierte das Gedicht „Der Ort, an dem wir recht haben“ des bedeutenden israelischen Dichters Jehuda Amichai. Dieser wurde 1925 als Ludwig Jehuda Pfeuffer in Würzburg geboren, emigrierte 1935 nach Palästina und lebte von 1937 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 in Jerusalem.

Mit dem Lied „Jerusalem of Gold“ (Naomi Shemer, 1930 - 2004) über die 1908 gegründete Stadt Tel Aviv verließen die Capella und Thomas Sparr das Liederbuch in Richtung jüngere und jüngste jüdische Geschichte. Als Zugabe wurde das jiddische Lied „Dona Dona“ von 1940 gespielt. Das Stück handelt von einem Kälbchen, das auf einem Wagen zur Schlachtbank transportiert wird, spielt aber auf den Transport von Menschen in die Konzentrationslager an.Nur zaghaft folgte das sichtlich bewegte Publikum der Aufforderung Thomas Sparrs zum Mitklatschen...

 

Das deutsch-israelische „Projekt  2025 - Arche Musica“ – ein musikalisches Gedächtnis

Die digitale Bibliothek und Wissensplattform „Arche Musica“, ist das zentrale Kernstück des deutsch-israelischen Forschungs- und Bildungsprojektes „Projekt 2025 – Arche Musica“. Das Projekt steht unter der Leitung von Thomas und Andreas Spindler (Capella Antiqua Bambergensis) und Danny Donner (Israel). Das Projektziel ist eine neue Form der musikalischen Erinnerungskultur: Bis zum 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel am 12. Mai 2025 entsteht eine mehrsprachige, digitale Musikbibliothek.

Sie ist ein musikalisches Gedächtnis, vergleichbar der „Arche Noah“. Ihre Aufgabe ist es, die nahezu vergessenen Kompositionen und Musikstücke aus der Zeit der jüdischen Emanzipation und des Holocaust, den Jahren 1890 – 1945, zu bewahren, zu digitalisieren und diese Handschriften und Musikstücke einem größtmöglichen Kreis an Menschen zu erschließen.

Das Original des „jüdisch-deutschen Liederbuchs von 1912“ ist das erste in der „Arche Musica“ veröffentlichte Werk. Alle transliterierten Musikstücke, Texte und wissenschaftlichen Informationen werden unter: www.arche-musica.org veröffentlicht.
 

Mehr über die Capella Antiqua Bambergensis (Andreas, Anke, Nina, Thomas und Wolfgang Spindler) – hier: https://www.capella-antiqua.de/

Mehr über das jüdisch-deutsche Liederbuch: https://www.arche-musica.org/work/sefer-ha-shirim-das-buch-der-lieder/

Thomas Sparr, Autor und Literaturwissenschaftler, lebte in den achtziger Jahren in Jerusalem. Dort arbeitete er am Leo Baeck Institut und an der Hebräischen Universität. 1990 übernahm er die Leitung des Jüdischen Verlags und wurde später einer der Geschäftsführer des Suhrkamp Verlages, für den er heute als Editor-at-Large tätig ist.

Jule Bauer studierte Musikwissenschaft und Gesang mit dem Schwerpunkt „Alte Musik“. Sie spielt in verschiedenen internationalen Ensembles für Alte Musik, Folk- und Weltmusik. Durch ihre Lehrtätigkeit für Gesang und Nyckelharpa hat sie sich in Deutschland, Italien und Frankreich fest etabliert. www.sonnenklang.de
 

Gruppenbild Capella Antiqua Bambergensis mit den Veranstaltenden im CPH

Gruppenbild mit Veranstaltenden: Vierter v. l.: Claudio Ettl (CPH), daneben Ruth Ceslanski (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Franken e.V.) und Ekkehard Wohlleben (evangelische stadtakademie nürnberg). Dritte und Vierter von rechts: Jule Bauer und Thomas Sparr. © Tim Hufnagl

Andreas Spindler und Thomas Sparr

© Tim Hufnagl

Claudio Ettl (CPH) begrüßt die Gäste und die CapellaAntiqua Bambergensisbei der Begrüßung

© CPH

Capella Antiqua Bambergensis beim Konzert im Caritas-Pickheimer-Haus (CPH)

© CPH

Jule Bauer mit ihrer Nyckelharpa

© CPH

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